Kommentar

von Jugendleiter Jörg Emmerich


In diesen Tagen sind in der Sportwelt von Neuwied zwei Dinge in aller Munde. Der Oberliga-Start des FV Engers, verbunden mit der Stadioneröffnung im neuen Sportgelände am Wasserturm und natürlich die Bronzemedaille von Kai Kazmirek bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in London.

Gerne gratulieren wir Kai Kazmirek, dessen Heimtrainer bekanntlich der Vater unseres U17-Spielers Lennart Roos ist, auf das Allerherzlichste. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle die Arbeit von Jörg Roos, dem wir natürlich ebenfalls unsere herzlichsten Glückwünsche aussprechen möchten, bzw. das bereits getan haben. Gerade wir beim SSV wissen, wie viel harte Arbeit – auch oder vor allem gerade – eines Trainers nötig ist, bis man nur die kleinsten Erfolge feiern kann. Dabei meine ich nicht einmal Ergebnisse oder Meistertitel, sondern auch Entwicklungen in sportlicher und charakterlicher Hinsicht. Klarstellend: Nicht im Entferntesten möchte ich unser bescheidenes Wirken  mit der Arbeit eines Weltklasse-Athleten und seines Teams vergleichen. Aber gerade wenn man bedenkt, wie viel man hier im Dorf selber investiert, um nur minimalste Fortschritte zu erzielen, kann man sich vorstellen, wie schwer und aufwändig eine Bronzemedallie bei Weltmeisterschaften zu erreichen ist. Hut ab, Jörg und Kai.

Ohne die vorstehend genannte Leistung gering schätzen zu wollen, finde ich einen anderen Vorfall bei der Leichtathletik-WM aber wesentlich bemerkenswerter und für die Arbeit des SSV auch immanenter: Der 3000-Meter Hindernislauf der Frauen und das Abschneiden und Verhalten von GESA FELICITAS KRAUSE.

Der eigentliche Sachverhalt in Kurzform: Das Finale stand an und aus deutscher Sicht war klar, dass Gesa Felicitas Krause eine gute Figur abgeben wird. Dann nimmt das Rennen einen sehr seltsamen Verlauf: Erst verläuft sich eine Konkurrentin und dann kommt es zu einem folgenschweren Sturz, in den die Deutsche verwickelt ist. Sie wird von einer strauchelnden Läuferin zu Fall gebracht, bekommt einen Schlag vor den Kopf, einen Tritt auf den Fuß und trägt neben einer kurzen Benommenheit noch Schürfwunden und ein Hämatom am Knie davon.

Aus der Traum! Es gab zwei Möglichkeiten zu reagieren. Erstens: liegen bleiben und aufgeben oder zweitens: weiterlaufen und kämpfen. Krause entschied für Letzteres. Sie wurde Neunte, ein paar Sekunden über dem deutschen Rekord.

Im ARD-Interview berichtet Sie mit Tränen in den Augen:  “Das kann beim Hindernislauf passieren” – “Ich bin trotzdem stolz auf mich, weil ich nicht aufgegeben habe” – “Ich wollte meinem Trainer mit meiner Leistung Danke sagen”.

Gerne zitiere ich hier den ARD Experten Frank Busemann:

“Da steht eine junge Dame, die im Moment ihrer größten Niederlage Stärke demonstriert. Und genau dieser reflektierte Charakterzug ist ein Grund, weshalb sie da oben angekommen ist. Es wird keine Ausrede gesucht, das Schicksal wird akzeptiert und trotzdem ist sie kein Spielball dessen.

Und deswegen ist Sport so schön. Weil er auch grausam sein kann. Er ist emotional, wir können mitfiebern und wir machen uns Hoffnungen. Und wir staunen. Wie gestern Abend. Bei einem neunten Platz.”

Und hier kommen die Sportvereine und die Trainer wieder ins Spiel. Denn im Verein geht es nicht nur um technisch-taktische Schulung oder um Konditionstraining. Positive charakterliche Eigenschaften zu schulen und die immer mehr vom Zerfall bedrohten Fähigkeiten zu einem Leben in einer Gemeinschaft, zu sozialer Kompetenz zu erhalten: Das ist es, was die Sportvereine vor allem im Mannschaftsport lehren. Stärke im Moment der größten Niederlage zu zeigen und wieder aufzustehen, wenn man am Boden liegt, das ist es, was man im Sportverein lernt. Über den Schmerzpunkt hinaus zu gehen, wie Gesa Felicitas Krause und die verweichlichte, selbstgefällige Art von vielen Jugendlichen abzumildern: Das ist es, was man im Sportverein zu vermitteln versucht.

Mentalität, Disziplin, Nachhaltigkeit, Entbehrung:  Das sind Eigenschaften, die unser Land groß gemacht haben und die es aufrecht zu erhalten gilt. Leider schafft die Schule das heut zu Tage nicht mehr und viele (nicht alle!) Eltern schaffen es auch nicht.

Wer in der täglichen Arbeit erlebt, wie “hier in Preußen” selbst die alltäglichsten Dinge, wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, aber auch die Bereitschaft zum Verzicht zu Gunsten der Gruppe oder das Veranwortungsgefühl für andere immer mehr verloren gehen, wie sich die Ansammlung von “Ich-AG`s” immer weiter ausbreitet, wie Maximal-Bespaßung von Kindern und Jugendlichen unter Ausnutzung aller Möglichkeiten – auch der Ehrenamtler eines Vereins – voranschreiten, der weiß, welch wichtige gesellschaftliche Aufgabe die Sportvereine in unserem Land haben.

Wünschenswert wäre es deswegen, wenn die vielen ehrenamtlich (oder gesellschaftlich) Tätigen auch die Ihnen zustehende Unterstützung erfahren würden.